GENETIK - "VERERBUNG - ZUFALL MIT SYSTEM" - TEIL 16
Kommen wir heute zu den beiden letzten Kapiteln der Farbgenetik.
Scheckung oder Weißscheckung (S) und dominantes Weiß (W) hängen zumindest von der Entstehung der Merkmalsausprägung eng zusammen.
Ob dem ein genetischer Zusammenhang zugrunde liegt, wird immer noch diskutiert.
Die Vererbungsregeln sind für beide Gene einfach, leider ist das Scheckungsgen in seiner Auswirkung nicht sehr zuverlässig. Da können wir uns glücklich schätzen, daß S und W so
weit hinten im Alphabet stehen.
Wir können also bei der Besprechung auf einige Erfahrungen über Genwirkungen und deren Unzuverlässigkeit zurückgreifen.
DAS SCHECKUNSGEN (ALLELE: S, s)
Der englische Name "piebald (white) spotting" und die daraus abgeleitete Bezeichnung Weißscheckung deutet auf eine immer noch nicht allgemein bekannte Tatsache hin: Das Weiß, so groß sein Anteil
auch sein mag, ist nicht die Grundfarbe.
Bei gescheckten Katzen können alle bisher besprochenen Farben mit und ohne Zeichnung als Grundfarben vorkommen. Und bei jeder gescheckten Katze wird sich irgendwo, auch wenn er noch so klein ist, ein "Fleck"
in der Grundfarbe finden lassen, sonst wäre sie eine dominant Weiße (dazu kommen wir später) oder eine Albino-Weiße (die kennen Sie ja schon).
Die Anführungszeichen stehen deshalb, weil sich der Fleck oder die Flecken bei den Schecken eigentlich auf die weißen Flächen beziehen. Auch wenn der weiße Fleck so groß ist, daß er sich auf
die ganze Katze ausdehnt, es ist und bleibt ein Fleck, der durch das Allel S des Scheckungsgens hervorgerufen wird. Die mögliche Verknüpfung von Weiß mit allen anderen Farben beweist, daß
das Scheckungsgen unabhängig vererbt wird.
Es ist vielleicht sogar günstiger, sich die Namen "gescheckte Katze" oder "Schecken" ganz abzugewöhnen. Bezeichnen wir sie doch ganz einfach mit ihrer Grundfarbe und fügen "mit
Weiß" hinzu. Da das mutierte Allel (S) offensichtlich dominant über das Wild-Allel (s) ist, ist die Sache einfach und wir brauchen keine neuen Genotypen-Tabellen. Bei allen Farben
OHNE WEIß wird (s/s) angehängt, bei allen MIT WEIß entweder (S/-), (S/s) oder (S/S).
Aus den "einfachen" Farben (non-Agouti) ohne und mit Verdünnung entstehen z.B. die klassischen Bicolor-Varietäten:
Bicolor schwarz-weiß
Bicolor blau-weiß
Bicolor chocolate-weiß
Bicolor lilac-weiß (lavender-weiß)
Bicolor rot-weiß
Bicolor creme-weiß
Aus den Agouti-Farben ohne und mit Tipping (Silber) entstehen die "MIT WEIß "-Varietäten. Da solche Katzen durch die Agouti- Grundfarbe mit der darüber liegenden Zeichnung in der
genetischen Farbe schon zweifarbig aussehen, werden sie noch manchmal als Tricolor beschrieben, wenn Weiß dazu kommt. Das ist schlicht und einfach falsch, denn Agouti-Grundfarbe und genetische Farbe
sind eigentlich nur eine Farbe. Mit Weiß sind sie dann höchstens Bicolor, aber dieser Begriff bleibt den non-Agoutis mit Weiß vorbehalten. Also nimmt man die bekannten Farb-Bezeichnungen und
fügt einfach "mit Weiß" hinzu, wie z.B.:
(black)-mackerel-tabby mit Weiß
(black)-classic-tabby mit Weiß
blue-...-tabby mit Weiß
bluesilver-...-tabby mit Weiß
blue-shaded mit Weiß
u.s.w.
Aus den Schildpatt entstehen "mit Weiß" die dreifarbigen Glückskatzen. Sie sind die einzigen, die auch aus genetischer Sicht die Bezeichnung TRICOLOR verdienen,
denn hier kommen wirklich drei Farben zusammen: die genetische Farbe, Orange und Weiß. Einige Beispiele sind:
Schildpatt mit Weiß (= Calico)
blau-Schildpatt mit Weiß (= dilute Calico)
chocolate Schildpatt mit Weiß
lilac Schildpatt mit Weiß
u.s.w.
Bei den Bicolor- und Tricolor-Katzen soll mindestens ein Drittel und höchstens die Hälfte der Körper-fläche weiß sein (Grad 3 bis Grad 5).
Ist der Weißanteil kleiner und bis auf ein Medaillon und einigen weißen Flecken auf dem Bauch und vielleicht einem weißen Handschuh an einer Vorderpfote reduziert (Grad 2),
spricht man von einer Minimalscheckung.
Dafür gibt es möglicherweise ein zweites Gen für "sehr schwaches spotting", das zwar unabhängig vererbt wird, aber mit dem Scheckungsgen interagiert.
Dieses noch sehr suspekte Gen scheint semidominant mit variabler Ausprägung zu sein.
Eine noch weitere Reduzierung des Weißanteils auf einen kleinen Fleck zwischen den Hinterbeinen und evtl. einen sehr kleinen Kehlfleck (zwischen Grad 1 und Grad 0) hat mit dem Scheckungsgen sicher nichts zu tun
Die Katzen sind genetisch ohne Weiß (s/s), diese weißen Fleckchen sind sicher polygenetisch veranlagt. Solche "Ausrutscher" treten bedauerlicherweise noch am häufigsten bei
Rassen ohne anerkannte Weißscheckung auf. Daher wird der Erbgang noch lange Zeit im Dunkeln bleiben, weil natürlich kein Züchter daran interessiert ist, solche Vorfälle publik zu machen
und Stammbaumforschung zu ermöglichen.
Kommen wir zum anderen Extrem. Wenn sich die weißen Flecken so weit ausbreiten, daß nur noch ein sechstel des Körpers farbig ist (Grad 6), bevorzugt am Kopf, Schwanz(spitze), evtl. an den
Beinen und höchstens zwei bis vier kleinere Flächen an den Flanken (der Bauch muß rein weiß sein), dann spricht man von der HARLEKIN-ZEICHNUNG.
Die Katzen sehen liebenswert und dabei schelmenhaft lustig aus, genau so wie der Arlecchino der Commedia dell'Arte, der für die Namensgebung Pate gestanden hat (Grad 7).
Bleiben von der Grundfarbe nur noch zwei durch eine Blesse getrennte Flächen im Gesicht und der Schwanz von der Kruppe bis zur Spitze übrig (Grad 8), dann spricht man von der VAN-ZEICHNUNG.
Der Name ist von der Türkisch-Van abgeleitet, die dieselbe Weißverteilung mit der Grundfarbe Rot hat.
„Grad 9“ ist eine weitere Reduktionsvariante, die für Zucht und Ausstellung weder erwünscht noch erlaubt ist.
„Grad 10“ hat mit dem Scheckungs-Gen genauso wenig zu tun wie „Grad 0“.
Während man bei letzterer sicher sein kann, daß der Genotyp (s/s) ist, kann bei ersterer alles möglich sein, denn Albino-Weiß und dominantes Weiß überdecken alle möglichen
Scheckungs-Allelenkombinationen (s/s, S/s, S/S).
Bleibt noch die Heilige Birma als Rasse mit Weiß zu erwähnen. Die charakteristischen weißen Handschuhe an allen vier Pfoten und die weißen "Sporen" an den Hinterbeinen könnten
etwas mit dem Scheckungsgen zu tun haben.
Allerdings weisen Kreuzungsversuche mit einfarbigen Rassen oder Colourpoints darauf hin, daß dieses Weiß rezessiv vererbt wird. Man hat daraufhin ein separates Gen g (für glove=Handschuh) angenommen.
Aber es ist auch möglich, daß g nur ein weiteres Allel von Scheckungsgen ist.
Ist es nun wirklich so einfach, daß die Allele (s/s) eine Katze ohne Weiß (Grad 0) und die Allele (S/s, S/S) eine Katze mit Weiß (Grad 1-9) bedeuten? Hier gilt ein klares ja!
Wie ist es aber nun mit der Weißverteilung? Ist diese an den heterozygoten (z.B. Grad 1-4) bzw. homozygoten (z.B. Grad 5-9) Zustand gekoppelt? Hier gilt leider ein ganz eindeutiges jain!
Einerseits haben wir einen dominant-rezessiven Erbgang, andererseits gibt es die enorme Variationsbreite von Grad 1 bis Grad 9.
Die Dominanz bzw. Rezessivität ergibt sich daraus, daß Eltern ohne Weiß nie weißgescheckte Nachkommen haben, wenn wir einmal von der sog. "Minimalscheckung" absehen.
Wenn aber mindestens ein Elter mit Weiß ist, dann fallen in der Regel auch weißgescheckte Nachkommen. Weil eben aus Verpaarungen mit nur einem weißgescheckten Elter auch weißgescheckte
Jungtiere fallen, ist die Dominanz bewiesen, denn die können nur heterozygot (S/s) sein. Die weißen Flecken sind auch epistatisch über alle Farben, sie können sowohl in den Bereichen aus der B-Serie als auch in denen von Orange liegen.
Besonders pikant wird das, wenn schwarz-weiße Bicolor-Eltern plötzlich rot-weiße Nachkommen haben. Dann nämlich war ein Elterntier ein verkappter Schildpatt mit Weiß, bei dem die weißen
Flecken den gesamten Orange-Anteil überdeckt haben. Dann kann man sich als Genetiker beim Züchter nur damit entschuldigen, daß Katzen-Genetik auch ohne solche "Tricks" eigentlich schon schwierig
genug ist.
Die beiden Allele des Scheckungsgens verhalten sich zueinander zumindest teilweise codominant.
Die Variationsbreite hängt sicher vom übrigen genetischen Hintergrund ab, folgt aber doch gewissen Regeln. So zeigen Nachkommen von gescheckten Eltern häufiger Weißanteile vom Grad 5-8, weil sich
darunter natürlich auch häufiger homozygote Tiere (S/S) befinden. Wenn nur ein Elter gescheckt ist, sind alle weißgescheckten Nachkommen zwangsläufig heterozygot (S/s) und fallen gleichzeitig auch häufiger unter die Grade 2-6.
Aber: Bei Tieren mit Van-Zeichnung oder Harlekin (Grad 7/8) liegt in der Regel Homozygotie vor. Aber derartige Weißverteilungen fallen auch immer wieder aus Verpaarungen zwischen Bicolor und nichtgescheckten Tieren,
sind also eindeutig heterozygot.
Nur eines ist beim Scheckungsgen sicher, seine enorme Variabilität!
Nur durch selektive Zucht mit engen Auswahlkriterien kann der Scheckungsgrad in bestimmten Grenzen stabilisiert werden und man muß immer wieder und auch noch nach vielen Generationen der Stabilität mit
"Ausrutschern" rechnen. Ich muß hier wiederholen, was ich bei den Schildpatt-Katzen schon einmal gesagt habe: "Hut ab vor der Geduld von Züchtern schöner weißgescheckter Katzen".
Aber zurück zu dem, was einigermaßen sicher ist.
Auch wenn das Scheckungsgen einen noch so unberechenbaren Charakter hat, so folgt die Ausprägung doch gewissen Regeln. Zunächst einmal eine Tatsache, die vielleicht schon viel früher hätte erwähnt
werden sollen.
Weiß ist keine Farbe, sondern das Fehlen jeglicher Pigmentierung.
Warum in manchen Hautbezirken die pigmentbildenden Zellen fehlen und damit die Haare dort ungefärbt bleiben, das erkläre ich später für die, die es ganz genau wissen wollen. Wir merken uns jetzt nur,
es handelt sich um einen genetisch bedingten "Defekt" der dazu führt, daß in den betroffenen Bereichen die Haare pigmentlos, also weiß bleiben.
Die Entstehung der weißen Flecken oder Flächen hat nichts mit der Bildung der Orange-Flächen bei Schildpatt zu tun, beeinflußt aber die Größe der orangen Fellpartien entscheidend.
Die Ausbreitung der weißen Flächen von Grad 1 bis 9 folgt gewissen Regeln, die mit der Embryonalentwicklung zu tun haben, es handelt sich aber nicht um einen Chromosomeninaktivierungsmechanismus, wie wir
ihn schon kennengelernt haben.
Die ersten Anzeichen von Scheckung treten an Bauch, Brust (Medaillon) und den Vorderpfoten auf (Grad 1). Dann kommen Nacken, Kinn, Flanken, Kopf und Hinterpfoten dazu (Grad 2-4). Schließlich fließen die
weißen Flecken zusammen und die Grundfarbe wird in Spots mit abnehmender Größe aufgebrochen (Grad 4-7). Zuletzt bleibt die Grundfarbe nur noch am Kopf oder im Bereich der Ohren und immer am Schwanz
oder zumindest der Schwanzspitze sichtbar (Grad 8-9).
Nun zur Embryonalentwicklung, der Grundlage für die Ausprägung der Weißscheckung und die fortschreitende Erweiterung der Weißanteile.
Erinnern Sie sich an die Entstehung eines neuen Organismus von der Eizelle bis zur Hohlkugel (Teil 13)? Dann die Einfaltungen zur Organbildung. Eine der ersten Einfaltungen führt zu einem Schlauchförmigen
Gebilde, dem Neuralrohr. Aus ihm entwickelt sich hauptsächlich das Nervensystem. Aber bestimmte Zellen aus dem Neuralrohr begeben sich auf Wanderschaft und sind an der Bildung ganz anderer Organe beteiligt.
So auch die Melanoblasten als Vorläufer der pigmentproduzierenden Zellen der Haut.
Es handelt sich dabei um wenige Zellen (ca. 34), die als primäre Melanoblasten die Neuralleiste verlassen und zur Körperoberfläche wandern. Aus ihnen entsteht durch Mitosen der Teil der Haut,
in dem Pigmente gebildet werden können. Ist die Anzahl der primären Melanoblasten durch das Scheckungs-Allel (S) genetisch vermindert, werden weit von der Neuralleiste entfernte Körperregionen
nicht mehr von den Melanoblasten erreicht. Es kann sich in diesen Hautbezirken kein pigmentbildendes Hautgewebe bilden, die dort wachsenden Haare bleiben farblos, also weiß. Je geringer die Anzahl der
primären Melanoblasten ist, desto größer werden die weißen Flächen.
Und was ist mit der Schwanzspitze, die ja fast immer pigmentiert ist, obwohl sie doch sicherlich zu den am weitesten entfernten Körperregionen gehört? Aber die Wirbelsäule setzt sich bis zur
Schwanzspitze fort und gehört eng zu den Organen des Neuralrohres. Somit liegt für die Melanoblasten der Schwanz näher als der Bauch oder die Pfoten. Auch der Bereich um die Augen und Ohren
liegt für die Melanoblasten näher als z.B. der Rücken oder die Flanken, denn Teile des Auges (Netzhaut) und teile des Ohres (Schnecke, Gleichgewichtsorgan) gehören direkt zum zentralen
Nervensystem.
Nun noch zur Abgrenzung vom Schildpatt einerseits und zum Einfluß auf Schildpatt andererseits.
Bei der Bildung des Schildpatt-Musters haben wir es mit zwei Typen von primären Melanoblasten zu tun. Die einen (ox) bilden Melanin und damit alle Farben außer Orange.
Die anderen (Ox) bilden Phäomelanin und damit Orange.
Die Gesamtzahl der primären Melanoblasten ist nicht reduziert, die gesamte Hautfläche kann mit pigmentbildendem Gewebe versorgt werden. Jeder primäre Melanoblast bildet in dem von ihm besiedelten
Hautbezirk durch Mitosen einen Zellklon von gleichem Differenzierungszustand (orange oder nicht-orange).
Die Ausbreitung eines Klons wird durch Konkurrenz zum benachbarten Klon begrenzt. Unter dem Einfluß des Scheckungs-Alles (S) ist die Gesamtzahl der primären Melanoblasten vermindert. Nach der Wanderung
liegen die Melanoblasten weit auseinander. Das Wachstum der beiden Klone Orange und Nicht-Orange wird nicht mehr durch Konkurrenz begrenzt. Jeder Klon kann sich so lange ausbreiten, wie seine Fähigkeit zur
Mitose erhalten bleibt. Erst dann hört die Ausbreitung eines Klons auf. Was durch die limitierte Zellteilungsrate der Klone von pigment-bildendem Hautgewebe unbesiedelt bleibt, bleibt weiß.
Bei Schildpatt mit Weiß sind daher die einheitlichen Farbflächen Orange und Nicht-Orange größer und je größer der Weißanteil, desto größer die Farbflächen.
Diese Serie wurde in 18 Teilen sehr verständlich und detailliert im Jahr
1993 von Roland Fahlisch (Diplom Biologe) geschrieben
und in der Zeitschrift Katzen Extra veröffentlicht.
Wir danken Monika und Roland Fahlisch herzlich
für Ihre schriftliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser tollen Serie.
(Wir bitten um Beachtung des Copyright - © Roland Fahlisch)